Hinterland ist noch lange nicht abgebrannt

Und Hommertshausen ist mitten drin.

(Hommertshausen liegt 10km südlich von Biedenkopf Richtung Gladenbach)

Wo kommst Du her? Aus dem Hinterland? Ist das da, sagen sie, wo die Welt mit Brettern vernagelt ist? Och nööö, hier geht es allemal weiter, auf der einen Seite nach Biedenkopf und Marburg, auf der anderen Seite bis nach Dillenburg und Siegen. Und wenn man sich durchs Grinsche-Land quält, kommt man sogar nach Bad Laasphe. Das aber liegt schon in Nordrhein Westphalen. Ihr seht, wir liegen zentral, kommt nur auf den Blickpunkt an.

Warum aber Hinterland? Oder genauer: Hessisches Hinterland? Erst mal ist es genau zu orten.

Für uns gehören heute zum Hessischen Hinterland die Gemeinden Angelburg, Bad Endbach, Biedenkopf, Breidenbach, Dautphetal, Gladenbach und Steffenberg.

Und warum Hinterland? Nachdem die Marburger Landgrafenlinie 1604 ausgestorben war, wurden deren Länder aufgeteilt und unser Gebiet 1627 der Landgrafenschaft Hessen-Darmstadt zugeteilt. Von der Residenzstadt Darmstadt aus gesehen lag das Gebiet „ganz weit hinten“ und bekam so seinen Namen Hinterland.

(der letzte Beitrag – eine Erklärung, wieso wir als Hinterland bezeichnet wurden (und werden). Da es hie und da noch weitere Hinterländer geben soll, wird unserem die Ortseingrenzung „Hessisches“ gerne vorgesetzt.)

Über Jahrhunderte hat unser Gebiet als abgeschlossenes und abseits gelegenes Bauernland bis in die Zeiten nach dem WK II seinen Charakter bewahrt. Täler und Dörfer sind durch Berge und Wälder voneinander getrennt. Jedes Waldtal ist ein kleiner Bezirk für sich. Wir sind heute nicht mehr ganz so isoliert, aber fast.

Was uns auszeichnet ist erst mal unsere Sprache. Wir sprechen Hinterländer Platt. Leider nicht mehr so wie früher. Eltern sind dem bildungsbürgerlichen Unsinn aufgelaufen, dieser fast schon eigensprachliche Dialekt würde die Kinder beim Lernen mit dem Hochdeutschen benachteiligen. Was ganz anderes hinderte die Kinder am Lernen. Viele mussten in den zumeist kleinen Landwirtschaften helfen und die Meinung, was braucht ihr Wissen, dominierte. Gänzlich unbekannt war, dass, je mehr Sprachen man spricht es um so vorteilhafter für weitere zu erlernen ist. Nun ja.

Ansonsten, sagt man, seien wir dickköpfig, eigenbrötlerisch, aufsässig manchmal. Auch das hat, sagt man, mit unserer Vergangenheit zu tun. In diesen Landstrich abseits der großen Welt wurden früher gerne Verwaltungsleute und Kirchenmänner und Lehrer versetzt, die widerspenstig waren. An uns Holzköppen sollten sie sich austoben.

Dann ist es ruhig. Gut, nicht mehr so wie früher, Autos nehmen auch bei uns zu. Aber mancher Städter, der des Nachts den klaren Sternenhimmel bewundert, horcht plötzlich auf – hier ist ja nichts zu hören. Manche sagen, sie wäre schwer zu ertragen, diese Ruhe.

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Feiern können wir Hinterländer auch. Es gibt Schützenfeste, Kirmes, Feuerwehrfeste, Gesangsvereinfeste, Bosel-Feste (hat ein Zugereister von der Nordsee importiert, es kann nicht genug gefeiert werden), sogar Sommernachtsbälle auf der Schutzhütte gibt es. Zwar nicht mit Ballkleid und so, doch wie alle Feste kräftig mit alkoholischen Getränken, Musik und Gesängen durchgoren. Lang übers Tal hin schallt es weit bis in die Morgenstunden. Und von der Sorte Feiern gibt es eine Menge in jedem Ort im Hinterland. Das ganze Früh- und Sommerjahr kann man, wenn man will, hindurch feiern.

Es ist schön heimelig. Man kennt, bliebe man hier, alles und jeden bis in die Nachbarortschaften. Auszuknobeln, wer mit wem und wie verwandt ist, ist ein weit verbreitetes Freizeitvergnügen. Nicht nur in der eigenen, verzweigten Familie, nein, auch bei allen anderen Familien. Und siehe da, letztendlich sind wir alle verwandt. Man muss nur lange genug suchen. Und wenn sie´s dann heraus gefunden haben, freuen sie sich. Die Hinterländer. (Ich muss da vorsichtig sein. Nur weil ich, wegen langer Abwesenheit, nicht mitreden kann, darf ich nicht lästern. Wo ich doch so schön finde, wenn Indios genau das tun und sich über Familiezugehörigkeit definieren).

Freizeitbeschäftigung gab und gibt es. Als Beispiel nenne ich dieselben in unserer Dorf. Fußball natürlich. Gewannen sie in meiner Jugendzeit, wurde gefeiert, verloren sie, war Alkohol der Tröster. Ich durfte weder spielen noch zuschauen, die Familie war freikirchlich und auf dem schmalen Weg die Sünde zu meiden. Fußball, trinken, tanzen, ins Wirtshaus und zu den Festen gehen, gehörte dazu. Heute, scheint mir, ist nicht nur der Fußball in den Dörfern professioneller geworden. Und die angesiedelten Türken sind Leistungsträger und als solche anerkannt.

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Dann gibt es den Gesangverein, den Skat-Club „Hinterländer Luschen“ (M ist, als einzige Frau, eifriges Mitglied) und den Ski- und Trimm Club. Die fahren zum Wintersport in die Berge. Wir sind im Winter unsere Hänge herunter gesaust. Schuss und Hinlegen zum Bremsen. Und Schlitten sind wir gefahren. Eine interessante Konstruktion war der Kaffee-Schlitten. Kaffeekisten waren robust und dienten, mit Kufen versehen, als vorderer und hinterer Schlitten, darüber kam ein Brett, hinten fest verbunden, vorne lenkbar. Darauf wir, die Jungens hintereinander und die Mädchen dazwischen auf dem Schoß. Dann ging´s vom Reifersch Berg bis ganz unten ins Dorf. Noch immer höre ich das trockene Tacktacktack der Kufen auf der vereisten Fahrbahn. Das war schön. Doch leider streuen die heute allen Schnee weg und den Rest der Schneematsch Beseitigung besorgen Autos, die doch in größeren Mengen auch bei uns aufgetaucht sind.

Also, das mehr Autos kamen, das war auch ein Segen. Weil die Busse selten fuhren und die Zugverbindungen abgebaut wurden. Und auch die kleinen Geschäfte. Alles abgebaut. Dafür haben sie in Nachbardörfern auf den Wiesen Aldi, Lidl und Penny aufgebaut. Wie in der Stadt. Und wie kommt die Oma zur Post oder zur Gemeinde oder zur Bank? War früher im Dorf, haben sie wegrationalisiert und zentralisiert und bürokratisiert. Ohne Auto geht da nix.

An Freizeitvergnügen gab es in meiner Jugend einen aktiven und erfinderischen Verschönerungsverein. Der stellte Bänke überall ins Gelände, damit die müden Spaziergänger Sonntag Nachmittags und werktags die Rentner ausruhen konnten. Heute sitzt mal ein müder Jogger drauf, denn die Rentner sitzen auf ihrem Traktoren und haben Projekte. Doch der wunderschöne Aussichtsturm, der auf einem hohen Berg thronte und weite Ausblicke erlaubte, den haben sie abgerissen wegen Baufälligkeit und mangelndem Kapital. Den Verschönerungsverein gibt es heute noch, die Bänke werden aus Tradition gepflegt und jährlich wird ein Fest gemacht.

Wir haben noch einen Obstzuchtverein. Dem habe ich mich angeschlossen, wegen Kontakt als ich nach knapp einem halben Jahrhundert wieder in mein Dorf zurückkam. Manchmal gehe ich hin, Bäume pflegen, Obst ernten, Weihnachten feiern.

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Was haben wir noch? Ja, wir bleiben gerne hier. Nur wenn es unbedingt sein muss, wandern wir über die Grenzen des Hinterlandes aus in ferne Welten jenseits der Berge und haben die Tendenz auch nach 48 Jahren wieder zurück zu kommen. Wie ich.

Das mit dem Abwandern war lange Zeit notwendig. Chronisten aus alter Zeit beschreiben es: „Die unfruchtbare Gegend bietet in dem hochgelegenen Gebirgsland ihren Bewohnern, einem fleißigen, genügsamem Menschenschlag, nicht das tägliche Brot, kaum soviel Kartoffeln, um ein kümmerliches Leben zu fristen.“ (Denkschrift 1847). Das Land „konnte seine Bewohner fast gar nicht ernähren, wenn sie keinen Nebenverdienst zu schaffen wussten. Alles strickt hier wollene Strümpfe mit einer unbeschreiblichen Geschwindigkeit und einem Fleiß, der wenig seinesgleichen haben kann. In jedem Ort sind Strumpfträger“ (Klippstein 1779), man nannte sie auch Strumpfmänner, die mit ihren Tragen weit liefen und verkauften. Sie waren überall und bekannt. Es soll sogar gewesen sein, dass, als Kolumbus in Amerika landete, ein Hinterländer Wanderhändler ihn begrüßte und Strümpfe andrehte. So kamen sie weit herum, die Hinterländer. Auch die jungen Leute waren zu frühen Zeiten gezwungen, auswärts Arbeit zu suchen. Sie verdingten sich als Wanderarbeiter in der Landwirtschaft und später als Hilfskräfte in den aufstrebenden Industriezentren an Sieg und Ruhr. Noch in meiner Jugendzeit war zwar schon Industrie angesiedelt worden, aber Nebenerwerbslandwirtschaft vonnöten, um über die Runden zu kommen. 45 Stunden musste ich, wie mein Vater, meine Onkel und andere bei Arnold oder Buderus und anderen tagsüber (anfangs auch Samstags) arbeiten und danach in der kleinen Landwirtschaft malochen.

Das ist heute nicht mehr nötig.

Die Konfirmation wurde unweit des Hinterlands ersonnen

1517 hatte Luther seine Thesen veröffentlicht und die Abspaltung vom Katholizismus vollzogen (er war der „Vollstrecker“, die Ursachen und Vorläufer reichen weit zurück). Umgehend artete die Reformbewegung in Zwistigkeiten und Rechthabereien aus und spaltete sich in verschiedene protestantische Kirchen auf. Die wichtigsten Konfessionen, die aus der Reformation hervorgingen, sind die Lutheraner und die (schweizer und holländischen) Reformierten (darunter Calvinisten, Zwinglianer und Presbyterianer). Hinzu kommen die radikal-reformatorischen Täufer. Später entstand in England der Anglikanismus.

Philipp I, Landgraf von Hessen und damit auch unseres heutigen Hinterlandes, war einer der ersten Fürsten, die die neue Lehre in ihrem Herrschaftsbereich einführten. Um Einigkeit der neuen Bewegung bemüht, hat unser „großmütiger Herr“ (so wurde er wirklich benannt) die wichtigsten Streithähne eingeladen. Sie haben sie sich 1529 im Schloss zu Marburg getroffen, Luther, Zwingli, Melanchthon und einige andere der neuen evangelischen Religionsauffassung. Zentraler Streitpunkte war das Abendmahl (Jesus ist persönlich anwesend: Luther; symbolische Handlung: Zwingli u.a.). Die Uneinigkeit blieb (Luther soll das Tischtuch zerschnitten haben).

Die von Luther aus der katholischen Tradition beibehaltenen Kindertaufe spaltete die junge Kirche weiter. Die reformatorische Täuferbewegung lehrte, nur Erwachsene könnten nach eigener Entscheidung sich taufen lassen und zur Gemeinde gehören. Landgraf Philipp, nach wie vor um Konsens der neuen Kirchen bemüht, beauftrage den Straßburger Reformator Bucer, einen Kompromiss zu finden. Heraus kam 1539 die „Ziegenhainer Kirchenzuchtordnung (Ziegenhain liegt um die Ecke).“. „Die Kindertaufe wurde zwar beibehalten. Die Heranwachsenden aber sollten zu einem Katechismusunterricht geschickt werden, der in einer symbolischen Handlung vor der Gemeinde gipfelte. Dadurch könnten sie nachträglich ein ‚Ja‘ zu ihrer Taufe sagen, so der Gedanke. Somit entsprach Bucer dem Anliegen der Täufer, ohne die Säuglingstaufe aufzugeben: Die Konfirmation war geboren.“ – Prüfer: Konfirmation: erst Kompromiss, heute Familienfeier (in: Evangelische Zeitung vom 6. April 2014 – aus Wikipedia).

So waren unsere Vorfahren die Ersten, die in den Genuss der Konfirmation kamen. (Na gut, wir dann wieder nicht, weil meine Vorfahren einer weiteren evangelikalen Spaltung angehörten, die Kindertaufe ablehnte und die Erwachsenentaufe propagierte. War alles schon mal da, siehe die radikal-reformatorische Täuferbewegung bei Luther).

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Als das Hinterland noch nicht Hinterland war
Vor langer, langer Zeit war die Erde kalt und das Klima rau. Eiszeit.

Die letzte. Manchmal stiegen die Temperaturen für ein paar tausend Jahre erträglich, dann wieder schoben sich die Gletscher bedrohlich auch an Hessen ran. Auch unsere Gegend ist so vorstellbar: Durch kalte, karge Steppenlandschaften zogen Herden von Wildpferd, Rentiere, wollhaarige Nashörner, sogar Mammute. Kleine Gruppen von Menschen mit niederen Stirnen, muskulösen Oberkörpern und Armen, breitem Becken und kurzen, kräftigen Beinen folgten ihnen. Vom Homo erectus hat man Spuren gefunden (Bellnhausen), vom nachfolgenden Neandertaler mehr Artefakte in unserer Gegend. Mit ihren Holzlanzen waren diese außergewöhnlich zähen Menschen auf der Jagd. Andere sammelten Beeren, Samen, Wurzeln, Wildgemüse. Kleintiere ham sie auch nicht verschmäht. Sie wohnten in Hütten und Zelten und hatten einfach genähte Fellkleidung an. Diese unsere (ausgestorbenen) Vorläufer haben am allerlängsten in unserer Gegend gelebt – der Homo erectus existierte ab 1 Mio. Jahre, der Neandertaler ab so 350 000 bis so etwa 35 000 v. Chr.

Dann kam der „moderne“ Mensch. Während der letzten Kaltzeit vor etwa 100.000 bis 30.000 Jahren zog der in einer zweiten Welle von Afrika nach Europa und breiteten sich schnell aus. Eventuell ermöglichten fortgeschrittenere Jagdtechniken oder eine bessere Sozialstruktur dem Homo sapiens, seinen Vetter zu verdrängen. Womöglich auch Änderungen in Klima und Umwelt, an denen sich der Homo sapiens besser anpassen konnte, hat die Neandertaler verdrängt und aussterben lassen (so ganz nicht, wir tragen noch ne Menge Gene von denen in uns und so mancher Schädel und manches Verhalten erinnert mich noch stark an diese indirekten Vorfahren).

Die Lebensweise der Menschen änderte sich nur wenig, ab und an kamen Erfindungen hinzu. Sie folgten auch in unserer Gegend den großen Herden als Jäger und Sammler, zogen von Jagdlager zu Jagdlager, verarbeiteten und konservierten das Fleisch der erlegten Rentiere, Wildpferde, Hirsche und Elche und präparierten die Häute. Erfunden hatten sie Pfeil und Bogen (Reste wurden gefunden). Ansonsten bestanden ihre Werkzeuge und Waffen aus Knochen, Holz und Geweih mit Spitzen aus Kieselschiefer und Feuerstein (u.a. bei Cölbe und Buchenau gefunden). Die Rast- und Lagerplätze befanden sich stets auf trockenen Anhöhen in der Nähe von Wasserläufen. Aber sie wanderten.

Das änderte sich ab 10 000 Jahren v. Chr. innerhalb weniger Generationen durch eine veränderte Jagdweise. Mit dem Ende der Kaltzeit entstanden in Europa endlose Laubwälder. Die großen Herden verschwanden, und die Menschen mussten sich auf überwiegend pflanzliche Nahrung oder auf die Jagd nach Einzeltieren umstellen. Von festen Lagerplätze aus wurden Auerochsen, Rehe, Hirsche und Wildschweine mit Hilfe von Hunden in der Pirschjagd gestellt. Die nicht an der Jagd beteiligten Familienmitglieder sammelten Nüsse, Wildfrüchte und Kräuter, fischten und fingen Kleintiere.

So ab 5 600 v. Chr. wurde alles anders. Zuerst war die Haltung von Schafe und Ziegen eine grundlegende Neuerung, dann kam der Übergang vom mobilen Leben als Jäger, Sammler und Fischer zum sesshaften Leben als Bauer. Entstanden ist diese neue Lebensform im „Fruchtbaren Halbmond“ des Nahen Ostens (zeitgleich auch in Südchina und Mittelamerika) und breitete sich schnell bis in unsere Gegend aus. Jetzt wurden nach und nach richtige Dörfer gebaut mit großen Rechteckhäusern zum Wohnen und zur Vorratsspeicherung. Das war eine Revolution nicht nur bei der Ernährungsbeschaffung, auch neue Werkzeuge aus Metall wurden erfunden. Die neue Lebensform bedingte soziale und religiöse Veränderungen. Langsam entwickelte sich eine gewisse Kultur. Die Verwendung von Bronzewerkzeugen (in Europa ab etwa 2.000 v.Chr.) ermöglichte das Roden von Wäldern und die Ausweitung der Landwirtschaft. Da Kupfer und Zinn, die Bestandteile von Bronze, nicht überall vorkamen, entwickelten sich im Laufe der Zeit rege Handelsbeziehungen, die auch den Austausch von Wissen förderten. In dieser sogenannten „Bronzezeit“ von 2000 – 750 v. Chr. sind auf Bergkuppen die Vorläufer von Burgen und Herrensitzen gefunden worden. Herrschaft entsteht immer da, wenn genug zum Leben auch der „Herren (und Damen“) erwirtschaftet werden kann.

In der Eisenzeit (750 – 20 v. Chr.) kamen die Kelten in unsere Gegend.

(Exkurs: „Der größte Teil Nordeuropas war von den (indoeuropäischen) Kelten und Galliern besiedelt. Die (indoeuropäischen) Germanen waren den Kelten so ähnlich, dass man sie kaum als eigenständiges Volk bezeichnen konnte. Erst ab etwa 300 v.Chr. scheinen sich die Germanen deutlich von den Kelten zu unterscheiden“. http://www.germanen-und-roemer.de/lex002d.htm)

Es gab Siedlungen auf flachem fruchtbaren Land (kann sein, dass das Germanen waren), doch die Kelten bevorzugten Ringwallanlagen auf Bergkuppen. Auch in meinem Dorf Hommertshausen ist solch eine Ringwallanlage vor nicht all zu langer Zeit gefunden und teilweise ausgegraben worden. Heißt der Berg deshalb heute „die Burg“?.

Dann kamen die Römer (20 v. Chr. – 375 n. Chr.). Sie haben es nicht geschafft, bei uns durch zu kommen, verbarrikadierten sich hinter ihrem Limes nicht weit von uns. Dann haben Asterix und Obelix sie besiegt und unsere Vor- Vor- Vorfahren haben fleißig mit geholfen. Erstere sind durch Goscinny und Uderzo verewigt worden, letztere hat man vergessen. (Das ist meine Fantasie. Man weiß von dieser Zeit wenig. In einem gescheiten Artikel hab ich gelesen, dass die Römer so nahe an ihrem Limes kaum rebellische Stämme geduldet hätten).

Danach war Völkerwanderung. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die bis in unsere abgelegene bergige Gegend gespült wurde.

Danach gabs eine Weile nix, nur hie und da in den Wäldern kleine Siedlungen und Anwesen ohne Obrigkeit. Gut, mit wenig Obrigkeit. Majestixe und Druiden. Wie aber konnten die (relativ freien) Germanen und Kelten in ein Herrschaftsgefüge mit Vögten, Feudalherren, kirchliche Würdenträger, Königen und Kaisern gezwängt werden?

Intern fingen richtige Kerle an, bei Bauern Steuern zu erheben und Waren auf den Handelswegen mit Zöllen zu belegen oder sie gar gleich zu konfiszieren. Sie haben sich befestigte Heimstätten auf Bergen gebaut und Herren gespielt. Später wurden Burgen und kleine Herrschaftsinseln daraus.

Eine Sonderform waren die Raubritter.
(Exkurs: Ein paar Kilometer östlich von unserem Dorf stand so eine Raubritterburg. Das es eine war sagte die Überlieferung. Wir haben als Jugendliche den Geheimgang gesucht, durch den sie geflüchtet sind, die gefürchteten, als der Landgraf von Marburg genug von den Störenfrieden hatte, gegenüber Kanonen auffahren und die Burg Hohenfels 1293 zerschießen lies. Soweit unsere Version. In den Analen steht, Hohenfels sei eine „Wegsicherung“ gewesen und gestört hätte sie, weil sie zum Erzbistum Mainz gehörte – dem großen Konkurrenten um Land und Pfründe der Landgrafen von Marburg ).

Franken

An der Trennung in Herrscher mit viel und Beherrschte mit wenig ab dem Mittelalter hatten die Franken einen wesentlichen Anteil. Nein, weder die Ober- noch die Unterfranken. Es waren die Stämme des beginnenden Frankenreichs. Sie expandierten ab dem 4. Jhdt. n. Chr. auch in unser Gebiet.

(Exkurs: Schon in Römerzeiten hatten die Salischen Franken, (sie siedelten auf der südlichen Seite des Ijselmeers) von Nordosten kommend, den Limes penetriert, besetzten das heutige Belgien, stellten sich in römischen Sold, bauten ihre Machtbefugnisse wie die Made im Apfel aus, siegten über Römer und eroberten im 5. und 6. Jahrhundert alle anderen fränkischen Teilstämme und andere benachbarte Gebiete und begründeten so das Frankenreich. Schon um 500 n. Chr. dehnte sich ihr Gebiet von der Kanalküste bei Calais bis Thüringen aus.)

Gegen die feindlichen Sachsen im Norden bauten die Franken unsere Gegend zum militärischen Aufmarschgebiet aus. Mächtige Festungsanlagen entstanden. Im Großraum Marburg gibt es eindrucksvolle Beispiele solcher fränkischen Großburgen (Christenberg, Amöneburg, Wehrhöfe bei Dreihausen). Diese Stützpunkte der Franken erhielten zugleich politisch-administrative und kirchliche Mittelpunktfunktionen.

Auf die fränkische Reichsgewalt geht die Aufteilung der Gebiete in Gau- und Grafschaften zurück. Und damit ging die großflächige Herrschaft von Geschlechtern los. Die ersten in unserer Gegend waren die Konradiner (9. – 10. Jhdt.), die sich zu Grafen aufschwangen (oder aufgeschwungen wurden – wie auch immer, das interessiert mich sehr, wie aus Gefolgsleuten plötzlich Herrscher wurden, doch darüber lese ich wenig). Der bedeutendste Konradiner war Konrad I. der Jüngere. Er wurde 911 zum ostfränkischen König gewählt. Der belehnte den aus Schwaben stammenden Grafen Werner mit der im 10. Jahrhundert entstandenen Grafschaft Maden im Raum Kassel-Fritzlar-Homberg-Melsungen, aus der im Laufe der folgenden zwei Jahrhunderte die Grafschaft Hessen wurde. Dann kamen im 11. Jhdt. die Gisonen und als denen die Fortpflanzung bei den männlichen Nachkommen abhanden kam, rückten die Verwandten aus Thüringen nach. Das kennen wir ja: Heilige Elisabeth, wurde als Witwe nach Marburg abgeschoben, gründete1228 ein Hospital, über ihrem Grab entstand die Elisabethkirche und Marburg wurde Nebenresidenz der Thüringer Landgrafen. Auf Elisabeth folgte eine ihrer Töchter (Sophie von Brabant). Die recht machtbewusste Frau machte Marburg zur Hauptresidenz der nunmehrigen Landgrafenschaft Hessen und sicherte für ihren Sohn (Heinrich dem Kind) die Herrschaft gegen de erbitterten Widerstand der Mainzer Erzbischöfe.

Was tun jetzt die Mainzer Erzbischöfe in unserer Gegend?

Es gab nicht nur die große Landaufteilung unter den Franken mit Gau- und Grafschaften. Kleine Herrschaftsinseln hatten sich schon im traditionellen Gefüge nach Germanen, Kelten und Römer gebildet. Die wurden jetzt vergrößert. Durch Landschenkungen und Lehen bildeten sich mehr und mehr lokale freie und adligen Grundherren.

Die Herrschaft der Franken (und so ziemlich der aller Herrscher) ging Hand in Hand mit Mission. Denn Missionstätigkeit traf sich mit den Interessen des fränkischen Herrscher, die im Christentum und in einer straff organisierten Reichskirche eine Klammer sah, die den Zusammenhalt des Reichs fördern konnte. Bester Mann war Bonifatius. Er kam und fällte die dem Gott Thor geweihte Donareiche bei Fritzlar. Seine Missionierung erreichte auch das heutige Hinterland. Zu den wohl ältesten Pfarrorten sind unsere Nachbarorte Dautphe, Breidenbach und Gladenbach zu rechnen. In Folge der Missionierung setzte eine verstärkte Siedlungstätigkeit ein. Kirchlicher Grundbesitz wurde zementiert und ausgeweitet.

Später ließ die Präsenz des fränkischen Königtums in unserer Gegend nach und an ihrer Stelle bauten die Erzbischöfe von Mainz ihr Herrschaftsgebiet aus. Ihre (durchaus weltliche) Herrschaft setzte sich aus einer Reihe größerer und kleinerer Besitzkomplexe zusammen und reichte in der Hochzeit der Mainzer vom Rhein-Main-Gebiet über Althessen bis nach Thüringen. (Sicherlich hatte dabei Bonifazius seine Hand im Spiel. Der hatte überall wo er war Bistums und Klöster gegründet und behielt, als er 745 Erzbischof von Mainz wurde, seine Hand auf seiner „Eroberung“). Gegen die Ansprüche der Mainzer mussten die weltlichen Herrscher auch in unserer Gegend immer wieder kämpfen. Sophie von Brabant, eine Tochter der Hl. Elisabeth hat, wie oben schon erwähnt, diesen Kampf gegen die Mainzer Ansprüche (und anderer auch), gewonnen und ihren Sohn Heinrich I inthronisiert, der 1292 der erste Landgraf von Hessen wurde. Dann kam Heinrichs Sohn Otto (1308–1328). Der verlegte 1308 den landgräflichen Sitz nach Kassel,

Eine stärkere Rolle in der politischen Entwicklung spielte Marburger erst wieder unter Landgraf Philipp dem Großmütigen (1518–1567), dem eine Einigung Hessens gelang, der 1526 hier die Reformation einführte und die erste protestantische Universität gründete. (Das war der, der die Religionsgespräche zwischen Luther und Zwingli im Schloss organisierte.)

Wie das Hinterland entstanden ist

Und dieser Landgraf Philipp den Großmütigen, teilte 1567 die Landgrafschaft unter seinen Söhnen auf. Es entstand die Landgrafschaft Hessen-Kassel und die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt.

Von Darmstadt nach Biedenkopf war’s ziemlich weit

Kassel führten über Jahrzehnte hinweg um das Marburger Erbe Krieg, teilweise im größeren Zusammenhang des Dreißigjährigen Kriegs, in dem Kassel mit Schweden (Evangelen), Darmstadt dagegen an der Seite des Kaisers (Katholen) kämpfte. Auch der „Hauptakkord“ von 1627, der das Erbe Marburg Darmstadt zusprach, konnte den Streit nicht dauerhaft beenden. Die Kasseler Landgräfin Amalie Elisabeth begann 1645 mit der Belagerung Marburgs den Hessenkrieg, den sie drei Jahre später siegreich beenden konnte. Oberhessen wurde dauerhaft geteilt, Marburg fiel an Kassel, Gießen und Biedenkopf an Darmstadt. So entstand eine Enklave, die sich wie ein schmales Handtuch entlang der Grenze zur Landgrafenschaft Hessen-Kassel nach Norden über Biedenkopf und Battenberg hinaus erstreckte. Und damit waren wir für die Darmstädter ganz weit weg, eben im „Hinterland“.

Verwaltungsstruktur und Zugehörigkeit haben sich in den vergangenen mehr als 400 Jahren mehrmals geändert (wir waren sogar mal preußisch), doch immer noch sind wir das „Hinterland“ und sogar ein wenig stolz auf den Dauertitel.

Quellen: http://de.wikipedia.org/wiki/Letzte_Kaltzeit;

http://de.wikipedia.org/wiki/Hessenkrieg; http://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_von_Thüringen; http://de.wikipedia.org/wiki/Marburger_Schloss; u. v.a.m.

Karl Huth: Der Landkreis Marburg-Biedenkopf. Verwaltungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Kreisausschuss des Landkreises, Wetzlar 1979

14 Kommentare zu „Hinterland ist noch lange nicht abgebrannt

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  1. Hallo Reinhold,
    danke für diesen tollen Bericht.
    Ich kenne zwar diese Geschichten (das mit der Konfirmation war mir neu) aber ich habe sie noch nie so zusammengefasst in einem Aufsatz gelesen.
    Wie lange hast du dafür gebraucht?

    Man kann auch heute noch im Hinterland viele Spuren aus dem Mittelalter entdecken. Es gibt zum Beispiel den Gisonenpfad zwischen Bucheneu und Warzenbach mit der Burg Hollende. Auch der Christenberg bei Münchhausen ist sehr interessant, kann man toll mit dem Fahrrad erkunden.
    Die Zeiteninsel bei Weimar im Marburgerland ist etwas für Vor- und Frühgeschichtler.
    Dort kam ich vor ein paar Jahren mit einem älteren Herren ins Gespräch. Ob er nur Hobbyarchäologe oder echter Wissenschaftler war weiß ich nicht nicht mehr. Auf jedenfall kannte er die Eisenköpfe und war auch schon da.

    Dann erzählte er mir von einem Heereslager Karls des Großen auf den Bottenhorner Höhen.
    Nach noch nicht bestätigten Berichten (es werde noch recherchiert) soll Karl im Jahr 778 hier seine Truppen versammelt haben um in die in die Schlacht gegen die Sachsen nach Laisa zu ziehen.
    Der Pfad führte demnach über Steinperf, den Höhenlagen von Eisenhausen über den schwarzen Stein bei Silberg bis zur Ludwigshütte, von dort über die Sackpfeife nach Laisa. Man nutzte damals Höhenpfade da die Täler oft sehr versumpft waren.
    Eine tolle Geschichte oder? Leider habe ich diesen Mann nie wieder getroffen und meine eigenen Recherchen verliefen im Sand. Für mich ist das deshalb interessant da ich nach meiner DNA – Ethnizitätsschätzung zur Hälfte Nordwesteuropäer und zu einem guten Drittel (Angel)-Sachse bin.

    Nochmal danke, hast wieder den „Historiker“ in mir geweckt und damit den Nachmittag verschönt.

    MfG Achim

    Noch eine kleine Kritik. Die Kluft zwischen Kelten und Germanen war besonders in der Eisenzeit noch sehr groß.
    Es gab ja nicht das Volk der Kelten, es gab eine keltisch Kultur der sich einige Völker anschlossen.
    Die Kelten waren weitgereiste Kaufleute und waren als Söldner bis in die heutige Türkei gekommen.
    Sie brachten die Eisenzeit nach Mitteleuropa und schmiedeten die ersten Eisenschwerter. Zur gleichen Zeit zogen die Germanen noch Holzpflüge hintersich her. Kelten legten die ersten Handelsstraßen in Gallien an und bauten stadtartige Siedlungen als die Germanen noch in fensterlosen Hütten im Wald hausten.
    Heute spricht man von der ersten und von der dritten Welt, ich glaube damals entsprach das dem Unterschied zwischen Kelten und Germanen.

    1. Danke Achim, du bist der wahre Experte! Ich kann ganz gut zusammenschreiben. Wär ja zu schön, wenn Karl der Große hier bei uns vorbei gekommen wäre. Bei Laisa war die Schlacht? Bei deiner Kritik bezüglich der Einschätzung von Kelten und Germanen bin ich zwiegespalten. Ich lese mal, dass die Kelten ein eigenes Volk waren, höher entwickelt als die Germanen und dann auch wieder, dass die Übergänge fließend gewesen seien. Ich neige deiner Darstellung zu. Wikipedia sagt: „Als gesichert kann gelten, dass die Kelten nie ein geschlossenes Volk oder gar eine Nation bildeten, allenfalls kann von zahlreichen unterschiedlichen ethnischen Gruppen mit ähnlicher Kultur gesprochen werden“.

      1. Hallo Reinhold, lies mal den Bericht in Wikipedia über die Ringwallanlage Dünsberg.
        Ich glaube wir haben beide Recht.
        Ab dem 1. Jarhundert v.Chr. scheinen sich hier in Mittelhessen beide Kulturen zu vermischen.
        In anderen Berichten habe ich gelesen, soweit im Norden siedelten die Kelten nur um Erze und andere Rohstoffe abzubauen. Es waren eigentlich Ausenposten ihres eigentlichen Siedlungsgebietes zwischen Alpen und Donau.

        1. Scheint so, obwohl in meinem Kopf Kelten nach Irland und Schottland gehören. Beim Nachlesen ist auch mir wieder klar geworden, dass das „eigentliche Siedlungsgebiet zwischen Alpen und Donau“ lag, wie du schreibst. Nicht ohne Grund wird deshalb die Hallsteinkultur auch als Zentrum angesehen. Kelten sind komplizierter zu begreifen als ich ursprünglich (vor langen Jahren) dachte.

  2. Geschichtsunterricht, wer wann wo und wen nieder gemacht hat, war mir immer langweilig und in der Schule endete Geschichte vor den Nazis. Du zeigst hier schön wie Geschichte auch immer Kulturgeschichte ist und besser noch, wenn man Bezug zu diesem Resonanzraum hat, wird Geschichte lebendig.
    In dem historischen Umfeld, in karger Natur, wird auch die Figur, die Persönlichkeit deines Opas verständlicher. Askese war wohl seine und die Antwort der Zeit auf die Welt nach Luther, die Max Weber so gut in den Aspekten von Angst und Begehren beschrieben hat. Danach steht hinter dem Trieb gesteuerten begehren die Angst vor dem Abgrund, wenn mir diese entgleiten. Dein Opa hat davon , intuitiv , gewusst, die lutherische Moral verinnerlicht und entsprechend gehandelt. Faszinierend !

    1. Ich grüße dich Werner!
      Und danke dir für das Lob. Mein Opa war der Asket Par excellence. Er wusste alles besser (besonders, wie man christlich, den schmalen Weg lebt) und war ungeduldig. Ich mochte ihn.
      Wir leiden noch an Corona Nachwirkungen. Die ganze Zeit aufgepasst und zum Schluss erwischt.
      Mach’s gut und Grüße
      Reinhold

      1. Wieso Corona -Nachwirkungen? Wie zeigen die sich? Und wann wart ihr denn erkrankt ? Das sind doch hoffentlich keine Langzeitwirkungen! Jedenfalls meine besten Wünsche für Euch !!
        Noch mal zu deinem Opa.
        Ich schlief und träumte, das Leben sei Freude. Ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht. Ich handelte, und siehe, die Pflicht war Freude.“
        ―Rabindranath Thakur
        Man kann nur vermuten ,das dein Opa etwas davon erfahren hat. Max Weber ist da skeptischer. Der glaubt der Asket hat auch immer einen eingeschränkten Lebensgenuss aufgrund begrenzter Resonanzen.
        Zu dem Thema habe ich gerade das Buch von Hartmuth Rosa gelesen, der die Zwanghaftigkeiten unseres Wirtschaftens (dynamische Konstanz) und deren Folgen (Resonanzverlust) aufdeckt. Lohnt sich sehr, weil das Buch eine dringend notwendig gesellschaftliche Diskussion befeuert über die von Technik- Freaks unreflektierte Heilsversprechen , wobei wir erst immer zu spät aufwachen und dann blöken “ das haben wir aber nicht gewollt “
        Wir können sehr wohl die Zukunft denken statt uns von der Technik vor sich her treiben zu lassen. Zukunft denken und gestalten war doch unsere Arbeit .
        Oder?

        1. Lieber Werner,
          finde ich interessant, dass du so auf meinen Opa anspringst. In unserer Familie ist er nicht gut angesehen, er war das Gegenteil von gütig. Dominant, von seiner Religion zutiefst überzeugt, eine Religion, die er konsequent lebte so wie er sie verstand und alle Nachteile hinnahm. Ich mochte ihn. Ja, ein Asket war er wohl auch. Ob er glücklich war? Glaube ich weniger. War keine Kategorie für sein Lebensziel. Die Gebote eisern halten, seinem Gott dienen, der freikirchlichen Gemeinschaft vorstehen, sie führen und leiten- und wenn das gelang, gab es wohl das befriedigende Gefühl, gerettet zu sein und in den Himmel zu kommen. Kann sein, dass das mehr als Glück war.

          Corona hatten wir zwei Wochen vor zwei Wochen. War jetzt nicht die befürchtete lebensbedrohliche Krankheit, Husten, Müdigkeit, Schlappheit und andere Symptome reichten. Und die Symptome gehen nur zögerlich weg. Marianne ist besser dran. Wird noch.

          „Das haben wir aber nicht gewollt“ ist wahrscheinlich die zutreffendste Zukunftsprognose die wir stellen können. Unser Wirtschaftssystem ist auf Gier aufgebaut, Gier nach mehr. Persönlich und ökonomisch. Und wo soll das „mehr“ herkommen? Das Heilsversprechen die Technik werde es machen, ist gerade das Mantra der fdp (Großbuchstaben haben sie nicht verdient) um alles abzuschmettern was nach Veränderung aussieht. Ja, die Zukunft gestalten das wäre es. Aber wie?

          1. Lieber Reinhold,
            Erstmal zu Corona. Du erinnerst dich sicher an die Gestalttherapie. Körper und Geist sind Eins. Die Gestalt ( der Körper ) beeinflusst den Geist und der Geist den Körper. Wir kennen ja die negative Seite : keine Energie ,keine Lust zu nix. Mehr als 95 % unserer Krankheiten haben mentale Ursachen , sagen die Gehirnforscher. Wir können aber die Batterie – den Körper – mit Atemtechnik aufladen und unsere 100 Billionen Zellen aufleuchten lassen, dann wird der Geist wieder Herr im Haus. Weißt du noch wie das geht?

            Ja, dein Opa fasziniert mich. Er hatte ein Bild von sich, von der Welt und von sich in der Welt. Eros, Kosmos, Logos. Die Eros Dimension ist ihm sicher dabei zu kurz gekommen und sicher hatte er eine selektive Wahrnehmung mit entsprechend partiellen Antworten. Aber er hatte eine Wahrnehmung und Interpretation mit konsequenter Moral und Verhalten. Ein heroischer Mensch. Bestätigung hat er dafür nicht erhalte, er war ungeliebt nach deiner Beschreibung und muss dafür , tief in seinem Herzen, gelitten haben.
            Wohl war sein Umfeld zur kritischen Resonanz nicht fähig oder in der Lage, nicht zuletzt weil wir nach Glück und Harmonie suchen, wir wachsen aber an unseren Wiedersprüchen und wenn es gut geht an solchen Leuten wie deinem Opa.
            Soviel für heute. Ich melde mich wieder.

          2. Ob ich noch weiß wie das geht, die Batterien mit entsprechenden Techniken aufzuladen? Na, das mache ich seit Jahr und Tag. Und trotzdem bin ich kaputt durch einen ehemalig tierischen Virus. Gegen Viren hilft keine Atemtechnik.

            Finde ich schön, dass Du meinen Opa so spannend findest. Da liegen wir auf einer Wellenlänge. Abgesehen davon, dass er mein Opa war, abgesehen davon, dass er die ersten vier Jahre mein Vaterersatz war (Vater habe ich erst als Vierjähriger kennen gelernt, er war in Kriegsgefangenschaft), abgesehen von all den persönlichen Umständen finde ich Menschen die IHR Leben leben mit allen Konsequenzen bewundernswert. Vielleicht nicht erstrebenswert das auch zu tun. Ich genieße zu gerne.
            Opa war nicht geliebt aber akzeptiert. Auf eine positive Art und Weise. Er hatte sich dass Gärtnern beigebracht (sogar lateinische Bezeichnung der Pflanzen und das als Dorf-Volksschüler!) und arbeitet auch im Kreis um uns herum. Und dann war er natürlich als Gemeindevorsitzender unterwegs auf ErweckungsVersammlungen und anderen Ereignissen (beliebt waren die Sängertreffen, das kamen sie von weit her und wir saßen auf den Balkenstapeln des Zimmerplatzes. Kam ich irgendwo hin, brauchte ich nur zu sagen: ich bin der Enkel von Heinrich Lenz und alle wussten Bescheid. Ich hab nie was Negatives gehört. Lange hab ich überlegt, ich glaube, lachen hab ich ihn nie gesehen.

          3. Die Zukunft gestalten. Aber wie? Hier ein par Reflektionen dazu.
            Nun, durch individuelles bewusst werden und intersubjektive Kommunikation.
            Wir sind die Autoren dieser Welt . Scheint so als ob wir uns dabei vertan haben. Ich habe schon lange niemand mehr getroffen der mit der Welt zufrieden ist, so wie sie ist. Und jetzt suchen wir in dieser selbst geschaffenen (objektiven) Welt nach Antworten machen Schuldzuweisungen und erwarten Antworten nach individuellem Bedarf. Nach dem Motto, “ die Welt ist schlecht und ich bin ihr Opfer“ . Klar, denn sie wissen nicht wer sie sind und wissen nicht was sie tun,
            Wer kann denn die Frage beantworten “ warum sind wir wie wir sind“, „warum tue ich was ich tue“ Das sind/ist die Frage nach dem Sein, dem Bewusstsein Historie, Soziologie , Psychologie, Philosophie und andere Wissenschaften haben keine Antwort darauf. Einige schauen in das Gehirn und können kein Bewusstsein finden . Die Materialisten schließen daraus , es gäbe auch gar keins (der Mensch, das Tier das sprechen kann ,nach Nietzche) und leben den Sozialdarwinismus pur nachdem der stärkere gewinnt. Konkurrenz und Wettbewerb, Oben und Unten prägt unser Gesellschaftsmodell. Auf dieser Stufe sind wir stehen geblieben. Hartmuth Rosa in seinem Buch „Resonanz und Weltbeziehung“ zeigt auf, wie die Resonanz gefährdet ist und die Welt Gefahr läuft zu verstummen.
            Wenn wir das ändern wollen braucht es Bewusstsein , wissen um uns/sich selbst. Ein Bewusstsein, das um seine Triebe weiß, um seine Ängste und die ganze Kiste der Emotionen und dann entscheidet wie es diese lebt. Das macht den Menschen zum Menschen ( im Unterschied zum Tier, das keine freie Wahl hat) Wenn ich schon mal jemand frage warum er sich denn so ein großes Auto gekauft hat, kommen Antworten wie „weil es mir gefällt und weil ich es mir leisten kann“.
            Was ist der Mechanismus: wir haben eine Emotion, einen Gedanken – handeln. Damit das nicht ungezügelt verläuft, haben wir Zivilisationen und Kulturen mit Regeln, Normen und Moral, die das Zusammenlaben ermöglichen. Alles auf das Kollektiv ausgerichtet – das sich dramatisch irren kann (Nazis, Umwelt). Es braucht das ergänzende individuell entwickelte Bewusstsein, das sich seine Triebe und Emotionen anschaut .,erkennt, und deren Folgen, auch in der kollektiven Dimension, abschätzen kann . Schwer? Nicht wirklich . Jeder kennt die Folgen, wenn man zu viel trinkt, isst, etc. Krankheit ist fast immer ein Resultat ungesundem Verhaltens und für die Millionen Unfälle haben wir meist selbst die Ursachen (z.B. Auto) geschaffen.
            Hier ist das Gesetzt der Resonanz wirksam. Es gibt einige spirituelle Gesetze mehr , die so solide sind wie die Naturgesetze. und deren Wirkung jeder für sich überprüfen kann. Kennen wir aber nicht und sie scheinen uns nicht zu interessieren. Das ist sicher so weil in der verdinglichten Welt alles geistige/spirituelle als Spinnerei abgetan wird. Das Thema ist so in das esoterische (unglückliches Wort)abgedrängt worden.
            Bewusstsein wiederum bestimmt die intersubjektive Qualität unserer Kommunikation. Wenn Personen sich gegenseitig erkennen, Empathie besteht, wenn ich mich also im anderen selbst erkenne, können wir eine neue Welt kreieren , eben eine kreative, dynamische die auf gegenseitigem Vertrauen beruht. Phantasie angesichts der Realität die wir haben? Ja sicher.
            Philosophisch gesagt , wir können nicht tun , was wir nicht denken können aber denken können wir es ja schon.

          4. Guten Morgen Werner!
            Das gefällt mir, was du schreibst:
            „Wenn Personen sich gegenseitig erkennen, Empathie besteht, wenn ich mich also im anderen selbst erkenne, können wir eine neue Welt kreieren , eben eine kreative, dynamische die auf gegenseitigem Vertrauen beruht.“
            Wäre schön. Ist natürlich schwierig, wenn du mitten im Kern unseres Wirtschaftssystems lebst, das Gier und Rücksichtslosigkeit prämiert. Vielleicht müssen wir hier zumindest erst mal aus dieser Zentrifugalkraft raus. Da drüben seid am Rande, wird ökonomisch beklagt, ist aber im Sinn von Gegenseitigkeit vorziehen bestimmt weniger magnetisch.
            Klar möchte ich eine andere Welt. Klar finde ich diese unsrige nicht so bedrückend. Aber ich kann nicht warten bis die neue kommt. Und deshalb richte ich mich ein. Unsere Familie z. B. hält zusammen durch Empathie. Dafür hab ich viel getan. Und die Freunde drum herum sind eingeschlossen (Du z. B. ).
            Grüße nach Kolumbien

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