Alexander v. Humboldt und ich

Es war in Quito. Frank kam aus der Schule, kannst du mir helfen bei einer Arbeit über Humboldt? So begann meine Liebe zu einem Mann, der körperlich und wissenschaftlich unmögliches leistete.

Vor Humboldt war der Kontinent nach seiner Entdeckung durch Colon und Vespucci den Iberern zur Ausbeutung, Kolonisierung (auch nur ein Synonym für Ausbeutung) und gewaltsamer Christianisierung überlassen. Die ersten, die den Kontinent bereisten, taten es auf der Suche nach Gold, Gewürzen, Macht und Reichtum.

Nach Humboldt kannte jeder, der es wissen wollte, diesen Kontinent mit seinen wuchernden, üppigen Naturschönheiten, seiner herrlichen und vielfältigen Flora und Fauna vom Amazonasbecken bis in die Hochanden, seinen über Gold und Silber weit hinausragenden Naturschätzen, seinen so völlig anders gearteten Naturvölkern, seinen raffgierigen spanischen Abkömmlingen (nach Brasilien durfte er nicht, Portugal hatte einen Haftbefehl ausgestellt, sie hatten Angst, er könnte andere Investoren anregen) und seinen freundlichen, hilfsbereiten Menschen.

Sicherlich gib es Orte in Südamerika, die keine Straße, kein Gebäude oder Denkmal zu Ehren des Naturforschers haben. Doch besonders in den Ländern die er bereist hat, dürfte das selten sein. In Ecuador kennt ihn jedes Kind. Wenn ich mir vorstelle, in einem schmalen Boot von 13 m Länge und einem Meter breite – nur hinten gab es ein provisorisches Blätterdach, den Orinoko hinunter mit ein paar Ruderern, bis zum Rio Negro, unsäglich die Strapazen im brütend heissen Urwald, von Moskitos zerfressen, später mit Eselkaravanen, zumeist zu Fuß, wenig auf Tragen (ein Stuhl auf zwei Stangen) von Cartagena aus den Magdalenenfluss hinunter, Inka Pfaden hinauf in die Hochanden fast bis auf den Gipfel des Chimborazo

und wieder hinunter bis nach Lima. Zwischendurch waren sie noch in Kuba und zum Schluss in Mexiko und den USA. Fünf Jahre waren sie unterwegs, von 1799 bis 1804. Alle Reisen mit Kisten voller Präzisionsinstrumenten ( 46 der neuesten) , überall alles messend was nicht schnell genug davon lief und nicht weit genug entfernt war. Unendlich Daten sammelnd, erfahrend, offen für Neues (in Ecuador hat er Gebräuche und Sprache von Indianerstämmen untersucht). Sein Ziel hat er vor der Reise angegeben

Ich werde Pflanzen und Fossilien sammeln, mit einem vortreflichen Sextanten von Ramsden, einem Quadrant von Bird, und einem Chronometer von Louis Berthoud werde ich nüzliche astronomische Beobachtungen machen können; ich werde die Luft chemisch zerlegen. — dieß alles ist aber nicht Hauptzwek meiner Reise. Auf das Zusammenwirken der Kräfte, den Einfluß der unbelebten Schöpfung auf die belebte Thier- und Pflanzenwelt; auf diese Harmonie sollen stäts meine Augen gerichtet seyn. (Wikipedia)

Berühmt werden wollte er. Hat er geschafft. Bonpland hat man vergessen. Das finde ich gemein. Sein Begleiter sammelte unter anderem über 60.000 Pflanzenbelege, von denen etwa 3500 Arten noch nicht beschrieben waren. 

Erst später wurden die unsystematisch zusammengetragenen Mess- und Beobachtungsergebnisse, die Pflanzen und Skelette und all die anderen „Mitbringsel“ von ihm und lange Zeit von anderen Wissenschaftlern nach und nach in Systeme gebündelt, die neue Erkenntnisse nicht nur der Länder seiner Reise sondern der Welt ergaben. Seine breit gefächerten Interessen haben später neue Wissenschaftszweige entstehen lassen. Er war der letzte Generalist, nach ihm gab es nur noch Spezialisten und Experten.

Heute wird er als Vater des ökologischen Denkens angesehen, denn er dachte sich die Natur als ein komplexes System, in dem alles mit allem verbunden ist. Mir gefällt am besten seine Erkenntnis über Vegetationszonen: dass dieselben Pflanzen, die vom Äquator Richtung Südpol wachsen in Ecuador auch die Berge hinauf existieren.

Wikipedia

Und da waren noch die Frauen, für die er sich höchstens zum Läuse zählen interessierte (hat er offenbar wirklich gemacht). In Quito empfing die beiden eine Delegation von Honoratioren vor der Stadt, für Humboldt hatte man als Begleiterin eine aristokratische Schönheit vorgesehen. Er nahm lieber den attraktiven Bruder auf seiner Reise durch das Land mit. (Nach allem, was wir wissen, war H latent homosexuell, hat das nicht ausgelebt, eher sublimiert für seine Forschungen. Bonpland war anders. Anscheinend hat H ihm deswegen die Hölle heiß gemacht).

Diesen Mann verehre ich. Wegen seiner Härte gegen sich selbst (und andere, wenn sie seine Sammelwut störten), seiner Stringenz und Konsequenz, Ziele zu erreichen, die andere vor ihm noch nicht mal wegen ihrer scheinbaren Undurchführbarkeit angedacht hatten. Er machte vor nichts halt, stellte Selbstversuche an um zu erfahren, was bis dato noch niemand erfahren hatte (elektrische Aale, die Pferde töten konnten, fasste er an um zu „wissen“ und bezahlte mit tagelanger Lähmung), er kämpfte vehement gegen die Sklaverei wo er konnte, war geprägt von der französischen Revolution mit Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Ja, er war wohl preußisch humorlos und diszipliniert, geradlinig bis zur Unhöflichkeit und ein Arbeitstier.

Wieder ist es Frank, nur 40 Jahre später, diesmal in Lima. Ich stolpere über einen Humboldt, den ich nicht kenne. Es ist das Buch von Kehlmann über Die Vermessung der Welt, das ich in Franks Bücherschrank finde. Mir ist vage, als hätte ich es schon mal gelesen, aber das Gedächtnis, das Gedächtnis…

Wie beschreibe ich meine Verwunderung? Die Reise von Humboldt und Bonpland ist mit vielen auch unbekannten Fakten und Erzählungen ausgeschmückt und spannend dargestellt. Doch der Mensch H war plötzlich reduziert auf ein kleines, egozentrisches, unsympathisches Männchen, nur auf eigenen Ruhm bedacht, seine Umgebung piesackend mit übersteigerter preußischer Arbeitsmoral. Verzwatzelt hab ich nach Belegen meiner doch recht positiven Ansicht über H gesucht – und gefunden. Gott sei Dank!

Die Frage, was ist in dem Buch historisch richtig? zieht sich durch alle Kritiken. Vieles ja, vieles nein. Der Historiker Frank Holz zieht das Fazit: „Alexander von Humboldt war kein klein gewachsener, roboterhaft in Uniform und mit Degen den Urwald untersuchender, pädophiler, überheblicher, humorloser, fast immer schlecht gelaunter, chauvinistischer Forscher. Er war auch nicht der positivistische Läusezähler, als den Kehlmann ihn sah“. Er war eher das, was ich gesehen hatte. Jetzt bin ich wieder froh.

Ps: Obwohl Kehlmann auf fiktive und freie Interpretationen seiner Romanhelden und ihrer Abenteuer hingewiesen hat, sind viele Leser und Kritiker offenbar vom durchgehendem Wahrheitsgehalt ausgegangen. „Dass solche Erfindungen nicht kenntlich gemacht sind, hat bereits dazu geführt, dass Kehlmanns Zitate teilweise als originäre Humboldt-Äußerungen missverstanden wurden. Selbst der Humboldt-Biograf Thomas Richter hat sich von den Kehlmann’schen Erfindungen in die Irre führen lassen. In seiner 2009 erschienenen Rororo-Monographie schreibt Richter: „Die historischen Ereignisse sind in diesem Roman exakt wiedergegeben“. (Wikipedia)

Pss: auf den Spuren Humboldts in Ecuador

„Dicke Wälder liegen zwischen Morästen; die Maultiere sinken…ein“
„Auch sind die Wege mit den Knochen der Maultiere bepflastert, die hier vor Kälte oder Mattigkeit umfielen“ (Alex im Original)
So, stelle ich mir vor, sahen die Sohlen der Stiefel von Humboldt und Bonbland öfters aus
Eingang zum Urwald
Bei den Häusern am Fluss hat sich wenig verändert
Bei den Shuar
Chicha gekaut, zurückgespuckt und vergoren-Mittagessen im Urwald
M mit Nagra: Filmaufnahmen Erosion im Andenhochland
Auf einem Nebenfluss des Amazonas.
Der Äquator bei Quito

2 Antworten auf „Alexander v. Humboldt und ich

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  1. Mein liebes Bruderherz,

    vielen Dank für den schönen Bericht über Alexander von Humboldt. Und die dazu passenden Fotos, wo wir auf seinen Pfaden wandelten. Ja, ich durfte tatsächlich bei einigen Expeditionen (und das waren sie für mich) dabei sein. Und davon zehre ich noch heute.

    Da war diese Projektbesichtigung irgendwo weit abgelegen von dem, was wir als Zivilisation bezeichnen. Es hatte tagelang geregnet. Wie kommen wir denn nun auf den Berg? Zu Fuß? Mit Autos? Nein, nein, das geht nicht, zu weit, und durch den Regen alles aufgeweicht, mit Autos können wir da heute nicht hinkommen. Also dann – es wurden 2 Maultiere und so eine Art Pferd gebracht (sorry, als Biologin müsste ich das wirklich präsizer benennen können, aber diese Vierbeiner waren mir noch nie geheuer). Alles Gepäck drauf und abwechselnd am Zügel geführt, auch mal ein Stück draufgesessen, so ging’s durch die Matsche schlingernd nach oben. Ach ja, und dieses eine ‚Pferd’. Da musste ich drauf, wahrscheinlich weil ich so begeistert geschaut habe. Sattel gabs nicht, nur eine Decke. So ein ganzes Pferd für nur eine junge Frau, das war dann doch etwas vergeudet. Deshalb bekam ich noch einen kleine Jungen mit hinten drauf, der hielt sich halb an mir und halb an einem Strick verzweifelt fest und rutschte bei jedem Schritt, den das Pferd – leicht schwankend und rutschend- in den weichen, nachgebenden Untergrund setzte, ein Stückchen weiter nach hinten Richtung rückwärtiges Pferdeende. Bis er sich nicht mehr halten konnte und unten lag. Jemand hiefte ihn wieder hoch und das Ganze ging von vorne los. So arbeiteten wir uns den Berg hoch, schlammbespritzt und schwitzend, und was dann oben mit uns passierte, das ist nochmal eine andere Geschichte. Du weisst es ja.
    Und die Fahrt im Einbaum zu den Shoar, die noch vor nicht allzuvielen Generationen Schrumpfköpfe aus unliebsamen Besuchern hergestellt haben, da muss Humboldt auch lang gekommen sein! Aber wir kannten ja die Bedingung, unter der man freundlich empfangen wird: Chicha bis zum Abwinken. Und dann gleich nochmal. Chicha ist gekautes, in einen Topf gespucktes Maniok, leicht vergoren. Ja, da kann man seiner Phantasie freien Lauf lassen- allerdings rate ich davon ab. Manchmal ist es besser, nicht zu intensiv nachzudenken. Einfach rein damit und hoffen, dass es bleibt.
    Und dann am Äquator, mit einem Bein auf der Südhalbkugel, mit dem anderen auf der Nordhalbkugel. Schön war’s!

    ach ja, der Kehlmann. Gräm Dich nicht, lieber Bruder. Er hat keine Biographie geschrieben, sondern einen leichtfüßigen, trotzdem fundierten und sehr, sehr komischen Roman, man sagt, einen der besten Nachkriegsromane. Ich verehre Kehlmann sehr! Wie er schreibt. Er bringt einem diese beiden merkwürdigen Typen nah, und vor allem das, was sie geleistet haben. Es ist lange her, dass ich das Buch gelesen habe. Kern ist ja der Vergleich zwischen diesen beiden unglaublichen Forschern. Beide sind angetrieben davon, die Welt zu erkunden, der eine, ein wohl betuchter Preuße durch und durch, muss dazu reisen, wie ein Getriebener, der andere, ein armes Kind aus einfachen Verhältnissen, bleibt an seinem Schreibtisch hocken. Bei Gauß spielt sich alles im Kopf ab, was es zu entdecken gibt. Und der Trick, das Besondere bei Kehlmann ist ja gerade, wie er sie beschreibt. Große Forschergeister, aber: Keine Heroen. Denn die gibt’s einfach nicht. Eher schräge Typen. Sehr sehr menschlich. Und mit viel Komik. Aber er macht sich nicht lustig über sie. Und das macht es lesenswert. Der Schlüssel zu Humboldt liegt glaube ich in einem Ausspruch, den jemand in seiner Jugendzeit getätigt hat: So sinngemäß (habs nicht mehr so parat) wenn Dich etwas ängstigt, musst Du es untersuchen und erkunden und vermessen, dann verliert es seinen Schrecken.
    ich merke gerade, ich muss es noch mal lesen. (Ich empfehle auch Tyll, da hat er die Till-Eulenspiegel- Geschichte in den 30jährigen Krieg verlegt. )

    Soviel für heute

    Grüße von der Ostsee

    Hanne

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