Es gibt parallel eine Diskussion und komplementäre Geschichtenerzählung in den Kommentaren, auf die ich hinweisen möchte
Werner (Kolumbien)
Gestern hatte ich schon einen Kommentar geschrieben. Den sehe ich hier nicht. Ich hoffe der taucht noch auf. Deine letzte Erzählung inspiriert mich auch diesmal zur eigenen Reflektion mit der ersten Wahrnehmung, ach, ich hatte ja gar keine Familie wie du außer Papa, Mama und Geschwister. Das hat es mir sicher leichter gemacht in die Welt zu ziehen und obwohl ich eine Beziehung zu Köln habe, ging und geht mir das ganze Heimat Gedöns, wie das in kölschen Liedern bis zum Überdruss besungen wird, immer herzhaft auf die Nerven . Zwar ist mein Bedürfnis irgendwie dazu zu gehören gering aber dennoch ist es ambivalent geblieben. Irgendwo zugehören müssen wir schon und in deiner letzten Erzählung wird das schön sichtbar, wenn du von deiner Familie sprichst und dabei eine gewisse Wärme rüber kommt. Trotzdem hat es dich in die Welt gezogen. Ein wärmendes Soziotop engt auch gleichzeitig ein und die Neugier , einmal geweckt, lässt sich nicht mehr abstellen.
Nach unserer Rückkehr nach Köln hatte ich einen Ersatz für die fehlende Familie bei den Pfadfindern und in der katholischen Jugendbewegung der Pfarre gefunden und war eine Zeit lang Pfarrjugendführer. In dem Kölner Vorort waren wir alle Zugezogene und es brauchte Gemeinschaft. Die Kirche, miefig wie sie war, bot den Rahmen dazu und unterstützte mit Räumlichkeiten. Der Pfarrer hieß ausgerechnet Babylon und kam so alt rüber wie der antike Ort selbst. Wir machten u. a. Tanzkurse und Sexualaufklärung feierten und tranken Bier, nichts was der Pfarrer und die Kirche gut hieß. Es war aber gerade für viele , die mit der Diskokultur nichts anfangen konnten , ein wichtiger Treffpunkt.
1963 machten wir eine Reise nach Israel. Wir hatten uns bei den Emmaus Brüdern, die 1949 vom Abbe Pier zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit und der Armut gegründet wurde engagiert und mit Lumpensammlungen 6000,- DM erwirtschaftet. Die wollten wir an ein Kibbuz in Israel übergeben und dort einige Wochen verbringen. Von der Stadt Köln hatten wir 3 VW-Busse für die Reise bekommen die über Österreich , Jugoslawien, Griechenland , der Türkei, Syrien und Jordanien gehen sollte. Wir sind nie angekommen. Es wurde ein richtiges Abenteuer. Der Kölner Stadt Anzeiger hatte von unserer Reiseabsicht berichtet und die Syrische Botschaft in Köln den Artikel offensichtlich auch gelesen. An der syrischen Grenze wurden wir schon erwartet und ganz gezielt nach dem Visum für Israel gesucht von dem sie wussten, dass wir es hatten. Gefunden haben sie das Visum nicht , ließen uns aber trotzdem nicht einreisen und die Türken nicht mehr zurück. Wir hingen dann mehr als eine Woche im Niemandsland und die Botschaft in Ankara musste intervenieren um uns da wieder raus zu holen. Wir sind dann mit dem Schiff über Zypern und Griechenland zurück nach Deutschland. Die Reise war voller großer und kleiner Geschichten und persönlichen Erfahrungen, die einige von uns an ihre Grenzen brachte. Ich denke ich werde mal gesondert darüber schreiben.
Sehr berührt hat mich der Kommentar von Wolfgang über seine Gesundheit mit Chips im Kopf. Wir sind jetzt in unserer letzten Lebensphase – danach kommt nix mehr. Das Leben schein gelebt. und die Gegenwart von unserem Gesundheitsstatus und der Erinnerung bestimmt. Sicher ist es richtig beide Dimensionen unseres Seins wahr zu nehmen , es gibt aber noch eine interessante Dritte. Wir haben unser Leben lang Erfahrungen gemacht, gelernt und Verstanden und sind auf der Höhe unserer Fähigkeit zur Reflektion. Ich glaube sogar , das Verstehen der Sinn unseres Daseins ist . Also reden wir doch darüber, oder ?
Meine Antwort:
Guten Morgen Werner!
Ja, dein Kommentar von gestern ist angekommen. Ich hab auch schon geantwortet. Müsste unter „Kommentare“ zu sehen sein.
Was für ne Reise nach Israel, alles drin was bei einem Abenteuer drin sein muss. Ja, schreibs mal auf. Wie wärs denn, wenn du deinen eigenen Blog machst? Nur, damit unsere Geschichten aus unseren nicht alltäglichen Welten nicht verloren gehen. Wäre zu schade.
Was letztendlich der Auslöser für meine Sehnsucht nach der Ferne war, das weiß ich nicht genau. Gut, da waren immer die Missionare, die Abends nach ihren Berichten in der Versammlung noch bei Opa waren und weiter erzählten. Da wollte ich auch hin. Missionar war mein erster Berufswunsch. Und da war da dieser Sanella Katalog mit den Einklebebildchen von den Abenteuern des Jungen quer durch Südamerika. Das Einzige Album, bei dem ich alle Bilder schaffte. War sehr lehrreich. Jetzt wusste ich, was Mestizen sind und das die schlitzäugig um die Ecke linsen.
Ja, unsere Familie hat bis heute diese Wärme erhalten — und uns überall besucht. So hatten wir beides: Familie und Ferne.
Mein Leben ist noch nicht gelebt. Jeder Tag bringt Neues und jeder Tag kann Überraschungen bringen. Klar, Einschränkungen nehmen zu. Und das Leben ist nicht mehr so, wie vor einiger Zeit. Aber auf jeder Stufe will ich meine Lust behalten so lange es geht. Ob ich Fähigkeiten zur Reflexion habe um die Gründe zu durchleuchten, weiß ich nicht. Ich sehe mein Leben als ein Ablauf von Geschichten, gesteuert durch Zufälle, die ich flugs beim Wickel griff wenn sie vorbei kamen. Und die meinen Horizont erweitert haben. Ein Beispiel: Deutschland und seine Probleme sehe ich aus der Perspektive des Südens. Wenn du eine kolumbianische Zeitung aufschlägst, ist auch mal was über Deutschland drin. Und die Verwunderung schwingt mit, wie man sich auf solch einem hohen Standard solche Probleme machen kann. Mein Blick ist weiter geworden, nicht mehr einzig auf das Umfeld konzentriert. Ein Perspektivenwechsel. Und das gefällt mir.
Schreib mal, wie du deine Reflexion siehst.
Nun, Reflexionen sind mir ein Weg zur Erfassung der spirituellen Dimension unseres Seins über den Weg der Erfahrung und des Verstehens eines gelebten Lebens. Ich glaube das wird besser Verstehbar wenn ich davon erzähle wie ich dazu gekommen bin.
Nach meinem ersten Studium in Aachen sind wir , Karin ,meine erste Frau und ich zurück nach Köln wo wir unserem Freundes – und Bekanntenkreis hatten, die sich in dieser Lebens Phase wie wir als Paare in Bezug auf Beruf, Wohnen und Familie neue aufstellten. Die Meisten waren konservativ und gingen den vorgegebenen Lebensweg aus Schule, Paarung – Kinder kriegen, Beruf und Häusle bauen aber einige von uns waren auch politisiert wegen Vietnam und der Situation in LA. Wir unterstützten kritische Veranstaltungen und lasen Carlos Castaneda, den Schamanen aus Mexico. Das begründete eine größere Nähe unter uns und mit einem gleichgesinnten Pärchen gründeten wir eine Kommune. In der haben wir Nächte lang diskutiert und kamen dabei mit unseren unterschiedlichen Argumenten und Interpretationen in Konflikt. Wir entdeckten die persönliche Dimension in der Auseinandersetzung, ohne diese zu verstehen, wollten aber mehr darüber wissen. Zufällig ergab es sich aber (Zufall ist purer Unsinn und ein Mythos unserer Gesellschaft, Karl Popper) das ein älterer Freund ein Therapiezentrum hatte der uns Gestalttherapie anbot. Wir haben dann über ein halbes Jahr Sitzungen gemacht. Unser Selbstverständnis kam ins wanken und ich habe erstmals erfahren wie schwer Veränderung ist. Ich bin dabei geblieben, habe eine Reihe weiterer Veranstaltungen besucht und schließlich bei Veranstaltungen assistiert. Ich hatte eine Erfahrung gemacht, etwas verstanden und war ein Anderer geworden. Die eigentliche Lektion war aber die, wenn ich etwas nicht verstehe , muss ich bei mir suchen. nicht draußen in der Welt. „Verstehe dich selbst“ sagt das Orakel von Delphi.
Botswana wurde dann mein Prüfstein. Nichts funktionierte wirklich. Mir war klar, ich verstand das Verhalten der Leute nicht, fand aber keinen Zugang. Ich erlebte eine existentielle Krise und hatte damit die Kondition um zu Verstehen.
Davon später mehr.
Sorry Reinhold, ich bin auf deinen Kommentar, in dem du vom Missionar werden sprichst und deiner aktuellen Befindlichkeit gar nicht eingegangen. Wegen der Nähe unserer Erfahrungen, hatte ich angenommen, dass diese ähnliche Fragen und Schlüsse aufwerfen wie bei mir. Das ist offensichtlich nicht so. Deine Erzählungen reflektieren Geborgenheit , bei allen sozialen und persönlichen Härten die es auch gab. Meine Geschichte der Kindheit und der Jugend ist voller Mistrauen und Unsicherheiten, die ich bis heute habe. Das begründet meine Lebenshaltung und Interpretationen. Es war diese Gefühlslage, die mich bewogen hat durch neue Erfahrungen Verstehen zu gewinnen. Lesen war ja für uns Beide ein Einstieg für die Suche , was war aber dein Motiv ? Und was die lessons learned? Das sind die eigentlichen Fragen, wen ich von Reflexion spreche. Nun, das sprengt den Rahmen deines Blogs und dein dezenter Hinweis, einen eigenen Blog zu machen ist richtig.
Der Missionar in Botsuana gehörte einer Neu- lutherischen Kirche an und kam aus dem Sauerland. Ob das auch der Sitz der Kirche war, weiß ich nicht. Kannst du, ohne großen Aufwand, herausfinden ob eure Kirche etwas damit zu tun hat!? Hatte die eine Mission dort!?
Guten Morgen Werner! Und frohe Weihnachten nach Kolumbien.
Hab gerade einen Artikel über die Unterschiede in Weihnachten feiern gelesen. Da sind die Latinos doch anders! Alle sind wir anders. Und dieses Anders-Sein ist für mich das Spannende. Natürlich musste ich das lernen und heute sehe ich überall Eurozentrismus (auch Yankee Zentrismus, obwohl die kaum über ihren Tellerrand blicken). Die Welt stur mit der eigenen Erfahrung konfrontieren. Und die eigene Erfahrung ist natürlich das non plus Ultra.
Du interpretierst von philosophischer Seite, ich sehe es mehr als Praxis. Die Praxis, zu akzeptieren, was fremd erscheint. Ich verehre Buddha (Kant weniger, zu deutsch). Doch sein Weg zur Befreiung von Leid ist mir zu anstrengend. Meditieren ja, aber für mich. (Und noch ne Parallele- fast zur gleichen Zeit haben wir die Gestalt Therapie entdeckt. Die Anleitung „Ich bin OK, du bist OK“ hat eine Freundin falsch gelesen mit „Ich bin KO, du bist KO“. )
Die Kernfrage: warum bei dir und weniger bei Anderen diese Sehnsucht nach dem Fremden entstand, die kann ich nicht beantworten. So tief bin ich noch nicht vorgedrungen. Kannst du das beantworten?
Jetzt feiern wir ein wenig Weihnachten. Bei grauem, regnerischem Wetter. Die Tage ist die Temperatur um 20 Grad gestiegen. Von -10 auf plus 10 Grad. Vordem war alles weiß gefroren. Weihnachten eine Woche zu früh.
Seid herzlich gegrüßt
R&M