Lima, Montag den 23.1.23
Heute morgen mit Geruch von verbranntem Gummi aufgewacht. Sofort schoss durch meinen Kopf: verbrannte Reifen, die Proteste sind jetzt doch zu uns gekommen. Frank hatte die Kaffeemaschine auf dem Feuer vergessen, das Dichtungsgummi war verbrannt.
UNIVERSITÄT GESTÜRMT
Gestern haben Sicherheitskräfte die Universität San Marco gestürmt und sind mit brutaler Gewalt vorgegangen. Die Universität gilt als linke Hochburg, ist den Konservativen ein Dorn im Auge. Schon zur Zeit der Diktatur unter Alberto Fujimori wurde die Universität in ähnlicher Weise gestürmt, wurden dort politisch engagierte Studierende systematisch verfolgt, gefoltert und ermordet.
Strategie der Sicherheitskräfte ist es, Demonstranten als Terroristen zu diffamieren. Symptomatisch ein selbst gedrehtes Video eines Polizisten bei der Erstürmung. Er präsentiert stolz die auf dem Boden liegenden gefangenen Studierenden und kommentiert: „Wir haben es geschafft: Wir haben alle Terroristen festgenommen! Wir haben San Marcos zerstört!“. Die Strategie der exzessiven staatlichen Gewalt erinnert mich an der Iran. Dort hat es offenbar funktioniert, es scheint kaum noch Proteste zu geben. Es kann aber auch nach hinten los gehen. Zum Bürgerkrieg wurde schon aufgerufen und Guerilla ist in Lateinamerika als letzter Kraftakt gegen zementierte Machtverhältnisse bekannt.
Das Land ist der zweitgrößte Kupferproduzent der Welt und gehört zu den wichtigsten Produzenten von Gold, Zink, Blei, Zinn und Silber. Epizentrum der Proteste ist der Süden, wo sich zahlreiche Minen befinden. Auch – mittlerweile verwaiste – Touristenattraktionen wie die Inkastadt Machu Picchu oder der Titicacasee liegen dort. Die Regionen gehören gleichzeitig zu den ärmsten des Landes.
Auch das neoliberale Wirtschaftsmodell steht infrage. Es schuf Gewinner – vor allem eine urbane, meist hellhäutige und gebildete Mittelschicht, die im Bergbau und Agrarbusiness tätig ist – und Verlierer: die arme, eher indigene Landbevölkerung, deren Lebensgrundlage durch Agrarindustrie und Bergbau rücksichtlos zerstört wurde. Bildung und Gesundheitsfürsorge blieben für viele von ihnen nur schwer erreichbar.
Supermercado
Mich fasziniert der Supermarkt. Ich hab noch nichts entdeckt, was es in den Supermärkten in Deutschland gibt und hier nicht. Im Gegenteil. Endlose Reihe mit Haarpflege, Fertigprodukte aus Mais und Yucca, handgemacht und dann diese unglaubliche Auswahl köstlichster Tropenfrüchte, frisch auf den Tisch. Jetzt höre ich sagen: die gibts auch bei uns. Nicht ganz, es gibt hier ein paar mehr. Doch das ist nicht der Unterschied. Es ist die Frische und ihr köstlicher Geschmack. Ja doch, Tropenfrüchte bei uns schmecken nicht schlecht. Kommt her und probiert hier. Dann wisst ihr, von was ich rede. Von Kartoffeln wollen wir gar nicht reden. Es gibt über 2000 Sorten in Peru.

Nicht nur fest kochend oder weich kochend. Man muss sich auskennen. Am Anfang in Ecuador: M wollte Bratkartoffeln machen, hatte aber eine super weich kochende erwischt. Nach 10 Minuten hatten wir Kartoffelbrei. Eine Suppe zum Totengedenken benötigt 7 Sorten mit verschiedenen Kochzeiten.
Was mich im Supermarkt jedes Mal umhaut ist die Ruhe, fast schon komplentative Stimmung an der Kasse. Langsam gleiten die Waren über den Scanner, langsam wird eingepackt, manchmal hilft die Kassiererin, langsam wird die Rechnung unterschrieben, langsam wird das Wechselgeld herausgegeben und nie weiß man, welche Schlange eher dran sein wird. Kann sein, das eine kleine Unterhaltung notwendig ist. Mich fasziniert dieses Verhalten und macht mich gleichzeitig kribbelig.
LETZTE MELDUNG (La Republica)
„Rechtsanwälte raten der Präsidentin, nicht zurück zu treten, denn dann könnte sie zu 20 Jahren Haft verurteilt werden“. Wegen Menschenrechtsverletzungen. Bei 60 Toten mittlerweile hauptsächlich durch Polizeigewalt ist sie letztverantwortlich. Ich hab ein Bild gesehen. Ein Polizist steht mitten auf der Straße im perfektem Spreizschritt und schiesst gezielt.
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